Noch 2 Wochen bis zu den Sommerferien. Alle anderen Schulen in Seattle nutzten diese 2 Wochen ganz normal zum Büffeln. Die Schule, auf die Leticia ging, unternahm in dieser Zeit eine Klassenfahrt. Eine zweiwöchige. Es ging in die Rocky Mountains. Leticia freute sich auf die Berge. Sie hatte nicht oft schroffe Felsen, bröcklige Steine und schneebedeckte Gipfel unter den Füßen. Die Rocky Mountains würden in diesem Jahr das höchste Gebirge sein, das sie erlebte.
Normalerweise war Leticia ein ziemlicher Nesthocker und ging über Gehwegplatten, Straßenasphalt und Hausflurböden. Ein weiterer Grund zur Aufregung war für sie, dass ein womöglicher neuer Mitschüler während der Klassenfahrt hospitieren würde, um einen Einblick in die Schule und über ihre Schüler zu bekommen. Höchstwahrscheinlich würde er in Leticias Klasse kommen; so schienen es jedenfalls die Lehrkräfte vorzuhaben.
Leticia stellte sich den neuen Mitschüler schwarzhaarig und dunkel vor, da er laut den Lehrern Saguaro Rodríguez hieß. Außerdem dachte sie irgendwie, dass er nett sein würde. Ihre Freundin Jin Liu war sich da nicht so sicher. Sie war sowieso immer eher der vorsichtige Typ.
"Fang mal mit dem Kofferpacken an!", dröhnte Moms Stimme aus der Küche zu Leticia hinüber.
"Ja-ha", rief die genervt und schaltete ihren Computer aus, auf dem sie sich Blider von der Jugendherberge in den Rocky Mountains angeschaut hatte. Sie holte eine große Tasche und einen Koffer unter ihrem Bett hervor und fing an zu packen. Höchste Priorität: Handy, Klamotten, elektronische Zahnbürste, Hygiene-und-Kosmetik-Kram, Geld und Snacks. Den Rest packte sie schlampig ein und es war ihr egal, ob er verloren ging oder nicht, aber diese Sachen packte sie nach ganz oben und schaute gefühlt jede Minute nach, ob sie noch da waren. Schließlich zwang sie sich dazu, den Koffer entgültig zuzuklappen.
Am nächsten Tag stand sie sogar früher auf, als der Wecker klingelte, und konnte kaum warten, in den Bus zu steigen. Als es endlich so weit war, klopfte ihr Herz wie wild. Sie konnte es hören.
Damit sie auf ihrem Sitzplatz nicht unbedacht zappelte, griff sie sich mit der einen Hand an die Beine, um sie unter der Kontrolle zu haben. Mit der anderen Hand hielt sie den Spiegel fest, in den sie dauernd starrte, um eine weitere Überwachungskamera zu haben. Erstaunlicherweise sah sie einigermaßen normal aus.
Sie fuhr eine Weile, bis sie schließlich an der richtigen Station ausstieg, was nicht leicht war, weil sie von dem großen Koffer und der Tasche behindert wurde. Der Treffpunkt, bei dem alle Schüler aus Leticias Klasse langsam eintrudelten, war der Schulhof.
Leticia versuchte, in der Menge den neuen Mitschüler Saguaro Rodríguez auszumachen und einen Blick auf ihn zu erhaschen. Leider konnte sie nicht eine Spur von einem schwarzharrigen, milchkaffeebraunen Typen entdecken.
Als Alle Schüler anwesend waren, nahmen die Lehrer einen unauffälligen Jungen beiseite und verkündeten fröhlich, dies sei der neue Mitschüler Saguaro Rodríguez. Diesen Jungen hatte Leticia bislang gar nicht bemerkt; unglaublich!
Saguaro machte darauf aufmerksam, dass er eigentlich Sammy hieß. Er erzählte, er komme aus Arizona, wo die Saguaro-Kakteen wuchsen, für die er eine Schwäche hatte. Saguaro sah ganz anders aus, als Leticia ihn sich vorgestellt hatte. Zwar war er braungebrannt und abgehärtet, aber seine Haare waren nicht schwarz, sondern braun, und er trug eine Brille.
Direkt als er den Mund zugemacht hatte, winkte Cosmea Krämerli und begrüßte ihn lautstark mit einem überfröhlichen Hallo. Leticia fand, dass ihr Lächeln recht fake aussah.
Sofort folgte Loréne Sándor Cosmeas Beispiel, woraufhin die sie gleich anschnauzte: "Nachmacherin! Abgucke! Verboten!"
Chrystal Lay, die nie um ein überflüssiges Wort verlegen war, machte Saguaro auf sich aufmerksam, indem sie ihn ebenfalls begrüßte. Cosmea Krämerli verschränkte die Arme, rollte die Augen nach oben und versetzte Loréne und Chrystal einen Tritt ins Schienbein.
Leticia überlegte, ob sie auch Hallo zu Saguaro sagen sollte, aber gerade als sie den Mund öffnete, um das erste H von Hallo auszusprechen, und Saguaro zu ihr schaute, fuhren die Lehrkräfte mit ihrer Rede fort. Es war bloß Geschwafel, dass sie nett zu Saguaro sein sollten, sich auf der Klassenfahrt vorbildlich verhalten sollten und so weiter. Nach vielen Minuten waren sie endlich fertig und die Schüler stiegen in einen Reisebus, der sie zum Flughafen fuhr. Sie würden einen Inlandflug hinlegen, um ins Zentrum der Rocky Mountains zu gelangen.
Während der Fahrt zickten sich Cosmea Krämerli und Loréne Sándor immer noch gegenseitig wegen Saguaro an. Chrystal Lay hat alles längst vergessen und man merkte, dasss sie kein persönliches Interesse an Saguaro hatte. Sie hatte sich neben Oceana McNoliarh gesetzt und plapperte mit ihr über die Rocky Mountains.
Nach einer Weile hatte Cosmea die Nase voll und sprach mit niemandem mehr, was Leticia insgeheim gut fand. Sie hatte einen Sitzplatz neben ihrer Freundin Jin Liu und hinter Saguaro. Cosmea und Loréne waren bestimmt neidisch, dabei hatte sich Leticia diesen Platz gar nicht selber ausgesucht. Genau gesagt war es sogar Saguaro gewesen, der sich vor sie gesetzt hatte. Offenbar hatte er bemerkt, dass sie sympathischer war als Cosmea und Loréne; oder es war eben bloßer Zufall. Aber Leticia hoffte, dass ersteres stimmte, denn sie war keine von den besonders hippen. Außerdem hatte sie in der Annahme, Saguaro Rodríguez sei nett, richtig gelegen. Das konnte selbst Jin Liu nicht mehr bestreiten.
Saguaro saß neben Isobel García und führte eine angenehme Unterhaltung mit ihr. Sie erklärte ihm einiges über die Schule und er schien mit der Zeit immer müder zu werden. Schließlich stellte Leticia erschrocken fest, dass er offensichtlich eingeschlafen war. Das war nur zu natürlich, fand Jin. Er hatte bestimmt eine lange Reise hinter sich und in der Nacht wenig geschlafen.
Isobel warf ihr panische und Hilfe suchende Blicke zu, weil sie nicht wusste, wie sie mit dem schlafenden Saguaro umgehen sollte, und schlich schließlich mit spitzen Fingern aus der Sitzreihe.
Loréne bemerkte den frei gewordenen Platz neben Saguaro und schnappte ihn Isobel unverschämt weg, nach dem Motto: Weggegangen, Platz vergangen!
Saguaro schlief so fest, dass er nicht mitbekam, wie sein Kopf langsam auf ihre Schulter sank. Loréne grinste triumphierend und Cosmea, die über ihre Stuhllehne spähte, warf ihr vernichtende Blicke zu.
Im Flugzeug war Saguaro bereits wieder hellwach. Er hatte wie eine Tomate, die in der Sonne glühte, ausgesehen, als er bemerkte, was passiert war. Jetzt setzte er sich demonstrativ neben Dominic Eychel, um jeden Kontakt mit Cosmea Krämerli, Loréne Sándor, Isobel García oder Leticia zu vermeiden. Dominic laberte ihn sofort über Sportarten und Videospiele voll. Saguaro war zu Tode gelangweilt und gab sich alle Mühe, interessiert auszusehen. Allem Anschein nach wäre es ihm nun doch mehr als Recht gewesen, ein nettes Gespräch mit Leticia zu führen.
Cosmea, die ganz hinten im Flugzeug saß, schnallte sich verbotenerweise ab und rannte durch den Flur des Flugzeugs, um Saguaro zu finden, weil sie es Loréne heimzahlen wollte. Statt ihn zu finden, wurde ihr aber übel und sie musste erbrechen. Leticia hörte angeekelt ihre Würggeräusche und konnte sehen, wie Loréne sich Nase und Ohren zuhielt und nicht hinsehen konnte.
"Das kommt davon, dass Cosmea die Regeln bricht und auf der Suche nach Saguaro durchs Flugzeug rennt", kommentierte Jin Liu. Dominic Eychel wedelte mit dem Zeigefinger vor Cosmeas Nase herum, schnalzte und imitierte die Lehrer, die ihn schimpften.
"Halt die Klappe!", stieß Cosmea genervt hervor.
Saguaro rührte sich nicht. Chrystal Lay brachte Cosmea ein Taschentuch und eine wasserfeste Papiertüte, während eine Stewardess sich um das Erbrochene auf dem Flugzeugboden kümmerte.
Als das Flugzeug gelandet war und die Schüler aussteigen wollten, kam es zu einem Gedrängel und Geschubse.
Saguaro rempelte Leticia versehentlich an und stieß mit ihr zusammen. "Sorry", sagte er schnell und fing rechtzeitig seinen Koffer auf, der gerade dabei war, umzufallen.
"Hallo... Äh... Sorry", brachte Leticia hervor, ohne zu kontrollieren, was sie sagte. Sie konnte sich gut vorstellen, dass sie purpurrot im Gesicht war.
Der peinliche Mini-Dialog hallte in ihren Ohren noch lange nach. Eine tiefe Verwirrung herrschte in ihrem Kopf. Eine Verwirrung, die immer noch nicht verschwand, als sie das letzte Stück mit dem Bus zur Jugendherberge fuhren. Nach gut einer Stunde Fahrt stiegen die Schüler und Lehrpersonen aus. Wieder gab es ein großes Gedrängel. Im entstandenen Chaos kippte Leticias Koffer um und fiel auf Chrystals Fuß. Die half ihr, den Koffer wieder aufzurichten und versicherte ihr, dass es nicht wehgetan hat. So war sie. Sie war abwechselnd nett zu allen und nahm Freundschaften nicht so wichtig.
Die Jugendherberge war ein großes Haus aus rötlichem Backstein und hatte viel übereinander aufgereihte Fenster, einige davon mit Balkonen. Innen gab es einen festen Holzboden, hölzerne Balken und helle Tapeten. An den Wänden hingen Fotos von den Rocky Mountains. Die Decke war recht niedrig, hell und von runden LED-Lampen übersät. Hier und da standen Regale, auf denen wiederum Vasen und Töpfe mit verschiedenen Pflanzen standen. Entlang des Flurs gab es Türen, hinter denen die unterschiedlich großen Zimmer steckten.
Nach einer Führung durch die Herberge wurden die Zimmer zugeteilt. Jungs und Mädchen waren getrennt.
Leticia würde sich ein Zimmer mit Jin Liu und Isobel García teilen. Damit war sie einverstanden. Hauptsache, nicht mit Cosmea Krämerli. Die teilte sich eins mit Loréne Sándor (wenn auch unter lautstarkem Protest) und Oceana McNoliarh. Chrystal Lay bekam ein Zimmer mit Taiwo und Amalah Thomason. Eine andere Dreiergruppe bildeten Ricarda Mallory, Carol Smyth und Pari Zadhan.
Bei den Jungs gab es unter anderem diese Gruppen: Saguaro Rodríguez und Ben Martin; Rob King, Dominic Eychel und Bill Miller.
Es war kurz vor 11, als es weniger ruhig wurde im Zimmer von Leticia, Jin und Isobel.
Jin packte gerade ihren Koffer aus, als Isobel Leticia bezichtigte, sie wäre in Saguaro verknallt. Die stritt das ab, womit sie auch Recht hatte. Es wäre in der Tat extrem voreilig gewesen. Höchstens mochte sie ihn. Nicht aus persönlichen Gründen. Er war einfach nett.
"Aber du bist rot geworden, als du mit ihm geredet hast, und hast so komisch gestottert", stichelte Isobel und starrte Leticia an.
Leticia wurde sauer. Das lag doch nur daran, dass er ein Junge war! Sie streifte Isobel mit einem Blick, der sie hätte töten können, wäre es nicht bloß ihr Blick.
Bis zum Mittagessen wurde dieser Streit immer schlimmer und ließ sich nur durch diese Rettung stoppen.
Beim Mittagessen gab es Hot Dogs, labbrige Pommes Frites und (aus Sicht von Europa) riesige Flaschen mit süßen Getränken.
Zu Leticias und Jins großer Freude setzte sich Isobel weit weg von ihnen zu Chrystal Lay.
Gegenüber von Leticia saß Saguaro, was Leticia sehr gut und Cosmea und Loréne sehr schlecht fanden.
Um halb 2 waren die Schüler fertig mit dem Mittagessen und verstreuten sich über die ganze Jugendherberge.
Leticia und Jin gingen auf den Außenhof des Schullandheims. Die Bergluft war erfrischend und kühl.
Plötzlich ertönte ein lauter Schrei. Es war Dominic. Ben hatte ihn verprügelt und rannte jetzt feige weg. Die anderen Jungs waren auf Bens Seite und flüchteten mit ihm, wenn auch kichernd, ihm eine Lange Nase zeigend und weniger ängstlich. Dominic blieb überrumpelt liegen. Er beachtete die peinlich-kindischen langen Nasen nicht und scherte sich auch nicht um Ben.
Jin kam ihm zu Hilfe und half ihm, aufzustehen. Mehr bekam Leticia von dieser Aktion nicht mit, denn sie bemerkte Isobel und Cosmea, die offenbar gemeinsam über sie tuschelten, und ging in Deckung. Saguaro, der ganz offensichtlich nicht bei Ben war, entdeckte sie zufällig und fragte sie nach dem Grund ihrer Tat. Leticia deutete in die Richtung von Isobel und Cosmea. Saguaro verstand sofort, was sie meinte. Als er eine Weile stumm dagestanden hatte, wandte er sich ab und ging weg.
Leticia kroch zur (übrigens brandschutzgesicherten) Eingangstür und öffnete sie. Kaum war sie im Gebäude, sprang sie auf und lief in ihr Zimmer. Dort hatte sie aber keine Ruhe... Cosmea klopfte an das Fenster. Leticia öffnete es und wollte wissen, was sie von ihr wollte. Cosmea warf einen kurzen Blick zu Isobel hinüber, die sich mit Saguaro unterhielt, und dann schlug sie ihr eine Wette vor: "Ich spare so viel Geld zusammen, wie man für ein Auto braucht. Wenn ich das innerhalb von 3 Tagen schaffe, kaufe ich mir das Auto, lade Saguaro zu einer Fahrt ein und überfahre dich vor seinen Augen. Er wird das gut finden; dafür sorgt Isobel. Wenn du mich aber hinderst, gewinnst du die Wette. Aber natürlich werde ich dir das nie vergeben und du behältst mich am besten im Hinterkopf. Du gewinnst die Wette auch, wenn Saguaro sich weigert, mit mir Auto zu fahren. Du darfst die Wette nicht ablehnen."
"Das kommt mir alles recht unwahrscheinlich vor, aber die Wette gilt", setzte Leticia ihr kühl entgegen. Als Cosmea pfeifend verschwand, lachte Leticia sich ins Fäustchen. Bestimmt würde Cosmea das Geld nicht zusammensparen, sondern es auf kriminelle Weise ergattern. Aber das war Schummeln. Außerdem würde Cosmea bestimmt nur einen klapprigen Gebrauchtwagen kaufen und kein 30.000 Dollar wertiges Auto.
Plötzlich schallte eine laute Stimme zu ihr durch den Flur: "Ben ist weg!" Bill Miller war außer sich und rannte wild durch die Herberge. Leticia schüttelte den Kopf. Bill war wirklich nicht der Hellste. Er wusste ja nicht, dass Ben einfach feige war und große Angst vor Dominic hatte, der jetzt bestimmt Rache schwor. Leticia dachte zwar nicht, dass die Rache sehr ausgeklügelt war, denn Dominic war auch nicht sehr intelligent, aber immerhin schlauer als Bill und Ben, die sich ihm unterlegen fühlten.
Leticia schloss die Zimmertür ab und ging wieder zum Außenhof. Sie winkte Jin zu, die sich immer noch mit Dominic herumtrieb. Die bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie zu ihr kommen sollte. Leticia wollte zu ihr rennen, aber sie kam nicht dazu, weil sie plötzlich stolperte. Oceana McNoliarh hatte ihr aus Versehen ein Bein gestellt. Oder doch nicht ganz versehentlich. Sie hatte nicht ihr ein Bein stellen wollen, sondern Rob King, der direkt hinter Leticia stand. Oceana und Rob hatten sich während dem Flug heftig gestritten und waren jetzt darauf aus, einander zu schaden. Oceana McNoiarh entschuldigte sich schnell bei Leticia und rannte vor Rob weg, der sich die Ärmel hochkrempelte, in der Absicht, sie zu verprügeln.
Während dem Abendessen verhielten sich die beiden Streithähne wieder alles andere als ruhig. Inzwischen hatten so gut wie alle bemerkt, dass Ben fehlte, und riefen nach ihm. Außerdem ging um, dass Cosmea Krämerli ebenfalls verschwunden war. Allerdings vermuteten nicht viele, dass die beiden zusammen etwas Geheimes ausheckten, denn zwischen ihnen gab es keinen denkbaren Zusammenhang.
Isobel schien sich ernsthaft Gedanken über Cosmeas Verschwinden zu machen, denn sie wirkte sehr nervös und schaute sich ständig um. Auch Oceana schien sehr angespannt, suchte aber mit den Augen ihre Umgebung nach Rob King ab. Als sie ihn sah, wurde sie für einen Augenblick blass. Dann sah es so aus, als würde sie einen bösen Plan schmieden. Einen bösen Anti-Rob-Plan.
Nachdem Leticia nach dem Essen eine Weile in ihrem Zimmer verbracht hatte, machte sie die Tür zum Flur auf und bemerkte Saguaro, der sein Zimmer verließ und die Tür offen ließ. Sie wollte ihm hinterherspionieren, aber sie wurde von einem interessanten Gespräch abgelenkt. Durch die offene Tür konnte sie hören, dass Rob, der eigentlich nicht in dieses Zimmer gehörte, Ben, der wieder aufgetaucht war, davon erzählte, dass er 40.000 Dollar auf die Klassenfahrt mitgenommen hatte. Während er sprach, wackelte er aufgeregt mit dem Kopf und seine Augen, die stark aus seinem dunklen Kopf herausstachen, leuchteten. Ohne dass Leticia es bemerkte, versuchte Ben krampfhaft, sein Interesse an Robs Geld zu verbergen.
Saguaro kam zurück. Bevor er die Tür schloss, konnte Leticia noch sehen, dass Ben ihn beseitenahm und heftig auf ihn einflüsterte. Kurz darauf stürmte Ben nach draußen auf den Außenhof, wo jemand in einem Zelt kampierte. Es hatte seltsame Ausbeulungen und eine merkwürdige Form, die vage an die eines Autos erinnerte. Jedenfalls die Größe stimmte mit der eines PKWs überein... Bevor sie entdeckt wurde (was sie unbedingt vermeiden wollte), schlüpfte Leticia schnell wieder durch die Tür hinein. Vom Fenster aus sah sie dem außergewöhnlichen Geschehen weiter zu. Entsetzt musste sie feststellen, dass ein großes Fernrohr aus dem Zelt geschossen kam und sich in ihre Richtung bewegte! Sie versuchte, all diese Merkwürdigkeiten zu vergessen, sich die Zähne zu putzen und einzuschlafen, aber sie hatte viel mehr Lust, weiter das Zelt zu beobachten.
In der Nacht lag sie noch lange wach und konnte nicht einschlafen. Die anderen beiden schliefen schon längst, als es laut an der Tür pochte. Leticia schoss sofort ein unwahrscheinlicher Gedanke durch den Kopf: Saguaro! Sie stürmte aufgeregt zur Tür und machte sie auf, aber da war niemand. Eine flüchtige Gestalt huschte zur nächsten Tür, klopfte und machte ein Geräusch, das sich entfernt wie ein Kichern anhörte. Wer war das? Wer schlich des Nachts in den Fluren herum? Leticia kniff die Augen zusammen, um im schummrigen Licht mehr erkennen zu können. "Bill Miller!", schrie sie plötzlich. "Was machst du da?"
Bill fuhr herum. "Ich... äh..." Er strich sich fahrig über die Haare und ihm schoss das Blut ins Gesicht. "Ich mache einen Klingelstreich."
"Hör damit auf! Das ist peinlich und albern!", befahl ihm Leticia.
Bill nickte, murmelte kleinlaut "Ja" und verkrümelte sich in sein Zimmer. Leticia ging auch in ihr Zimmer, vergaß aber, die Tür wieder zu schließen. So gelang es um Mitternacht einem unerwünschten Besucher, ohne Probleme in ihr Zimmer zu gelangen, einen Gegenstand von kleinem Umfang abzustellen, wieder hinaus zu gelangen und die Tür zuzuschlagen, was lauten Lärm verursachte. Leticia wachte aus ihrem Halbschlaf auf, sprang vom Bett und durchsuchte mit der Taschenlampe das Zimmer nach einem Eindringling.
Schritte!
Jemand trieb sich eindeutig im Zimmer herum! "Wer ist da?", schoss es aus ihr.
Keine Antwort.
Leticia irrte ein wenig herum, bis sie an einen kleineren Nachttisch stieß. Der Lichtkegel fiel auf ein kleines Glas, das mit Erbsen und Wasser gefüllt war. Das war es also! Wieder ein Streich! Die Erbsen ploppten auf und produzierten so Geräusche, die sich wie schwere Männerschritte anhörten... Leticia schloss schnell den Deckel des Glases und warf es panisch in den Mülleimer. Dann schaltete sie die Taschenlampe aus und stieg in ihr Bett. Sie war so müde von den nächtlichen Aktionen, dass sie sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Ungefähr um halb 2 am Morgen wurde sie von einem lauten Geräusch geweckt. Es kam von draußen. Leticia schaute aus dem Fenster. Urghs! Wie unheimlich! Draußen gingen mysteriöse Dinge vor sich, die eigentlich (ganz sicher!) nicht geschehen durften. Das automobilförmige Zelt bewegte sich rauchend und vibrierend auf den Ausgang des Außenhofs zu. Das Fernrohr schoss wieder aus einer Luke und drehte sich in die Richtung des Fensters, aus dem Leticia schaute, als diese das fahrende Zelt mit der Taschenlampe anleuchtete. Die Person in dem Zelt-Auto hatte den Lichtstrahl anscheinend gesehen, wollte aber um keinen Preis bemerkt werden...